Christian Weise                      Sonett über das Kupferblatt

1642 – 1708

Was überflüssig ist, begehr ich nicht zu schreiben.

Doch ist nicht unser Herz ein steter Überfluß,

Da eine Fruchtbarkeit der andern folgen muß?

Und was will in der Brust vor sich gefangen bleiben?

 

So bald man fröhlich ist, da wachsen und bekleiben

Die Rosen aus der Lust; kömmt Jammer und Verdruß,

So grünt der Nesselstrauch, der gründet seinen Fuß

Und läßt den scharfen Brand durch keine Macht vertreiben.

 

Will uns das Glücke wohl, so prangt die reife Frucht

Des Trostes um und um; doch geht es in die Flucht,

So muß das trockne Land auch dürre Zweige tragen.

 

Deswegen halt ich nit des Herzens Wachstum auf

Und laß in Freud’ und Leid mir selbst den freien Lauf.

Ich mag mich als ein Mensch der Menschheit nicht entschlagen.

 

 

 

 

 

 

 

Christian Weise

1642 – 1708

Es wil ein iederman geschickte Lieder machen;

Doch wenn er einen Reim auf seine Tafel schreibt,

So fehlt der andre Vers, der ihm zurücke bleibt,

Und so besteht er nicht mit seinen halben Sachen.

 

Biß er den Vorrath gantz mit Kummer, Noth und Wachen

Aus allen Winckeln sucht, daß ihm nur eins bekleibt

Darbey er selbsten zwar die Zeit gar wol vertreibt;

Doch müssen destomehr die andern Leute lachen.

 

Darum bedenckt euch wol und nehmt die Lehren an

Die mein getreuer Sinn auff kurtze Sätze gründet:

Folgt mir und seyd bemüht, biß ihr auf dieser Bahn

 

Den kleinen Überdruß im Anfang überwindet:

Da wil ich fröhlich seyn, wenn ich mich rühmen kan,

Wie daß mein Fleiß sein Lob in euren Lobe findet.

 

 

 

 

 

 

Christian Weise

1642 – 1708

So müssen wir nunmehr uns auff den Winter schicken

Und sol die lange Nacht

An statt der Blumen-Pracht

Das halb erfrorne Feld mit Reiff und Eise drücken?

 

Der Himmel spielet schon mit ziemlich schwachen Blicken:

Ein ieder ist bedacht,

Wie er die Fenster macht,

Und wie er allgemach kan zu den Ofen rücken.

 

Nun welcher dieses sieht,

Was alle Jahr geschieht,

Der dencke doch dabey an aller Menschen Leben,

 

Daß sich die junge Zeit,

Mit ihrer Liebligkeit,

Den rauhen Winter auch im Alter muß ergeben.